Pressemeldung

IG Metall: Presse

05.06.2020 IG Metall Baden-Württemberg warnt vor sozialem Kahlschlag und Krisenbewältigung auf Kosten der Beschäftigten

  • Wirtschaftliche Lage in Industrie und Handwerk weiterhin stark angespannt
  • Solidaritäts-Kampagne gegen Angriffe der Arbeitgeber

Die IG Metall Baden-Württemberg verzeichnet eine wachsende Zahl an Ankündigungen von Sparplänen und Stellenabbau als Folge der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Arbeitgeberverbände sowie etliche Mitgliedsunternehmen aus den verschiedenen Branchen begreifen die Krise offenbar als Rückenwind für den Abbau von Beschäftigung und unterlaufen dabei Arbeitnehmerrechte und Tarifverträge. Bezirksleiter Roman Zitzelsberger: "Zukunftsgestaltung geht nur gemeinsam, das haben wir schon bei unserer Kundgebung Ende 2019 auf dem Stuttgarter Schlossplatz klargemacht. Schon damals haben zahlreiche Betriebe in der Automobilwirtschaft versucht, unter dem Deckmantel notwendiger Transformations-Aufgaben Sparprogramme und Jobabbau durchzusetzen und ihre Rendite zu steigern. Die Corona-Pandemie befeuert dieses Streichkonzert nun zusätzlich in weiteren Branchen."

Kurzarbeit bleibt weit verbreitet, Ankündigungen zu Jobabbau nehmen zu

Laut Zitzelsberger verursacht die Corona-Krise die größten wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen seit dem zweiten Weltkrieg, Hunderttausende Beschäftigte befinden sich nach wie vor in Kurzarbeit. Ende April waren im Südwesten nach einer Umfrage in den baden-württembergischen IG Metall-Branchen mehr als 525.000 Beschäftigte in 690 Betrieben in Kurzarbeit oder davon bedroht. Über alle IG Metall-Branchen hinweg - Metall und Elektro, Holz und Kunststoff, Textil und Bekleidung, Edelmetall sowie Kfz-, Metall-, Elektrohandwerk und Technische Gebäudeausrüstung - lag die Betroffenheit bei fast 80 Prozent. In jedem zweiten Unternehmen mit Kurzarbeit wurde erwartet, dass diese noch mindestens bis Oktober andauert, mehr als zwei Drittel der Betriebe meldeten gestörte oder gefährdete Lieferketten.

Eine aktuelle Blitz-Umfrage unter den regionalen IG Metall-Geschäftsstellen vom 2. bis 4. Juni bestätigt die angespannte Lage im Südwesten: 87,5 Prozent geben an, dass die Kurzarbeit in der jeweiligen Region auf dem hohen Niveau von Ende April verharrt oder sogar zugenommen hat. Die gesamtwirtschaftliche Situation bewerten 75 Prozent mit gleichbleibend angespannt, die Übrigen sehen eine Verschlechterung. Allerdings ist die Situation in den einzelnen Betrieben sehr differenziert. Problematisch: Mehr als 60 Prozent beobachten, dass die Ankündigungen zu Personalabbau seit Ende April zunehmen. Fast 30 Prozent verzeichnen eine erschwerte Übernahme von Auszubildenden oder Absichten, 2021 Ausbildungsplätze abzubauen. Ende April spielte beides in der überwiegenden Zahl an Betrieben noch keine Rolle.

Gesprächsverpflichtung bisher ohne Ergebnis

Gemäß einer Gesprächsverpflichtung aus der jüngsten M+E-Tarifrunde spricht die IG Metall Baden-Württemberg aktuell mit dem Arbeitgeberverband Südwestmetall über Möglichkeiten zur Bewältigung der Corona-Krise, in einem ersten Fazit bezeichnete Zitzelsberger die Gespräche als "äußerst schwierig". Aus Sicht der IG Metall müssen Konzepte für zeitlich befristete tarifliche Abweichungen immer verbindliche Beschäftigungssicherungen beinhalten und sich am konkreten betrieblichen Fall orientieren. Südwestmetall hingegen strebe pauschalierte, beziehungsweise automatisierte Reduzierungen tariflicher Leistungen an, so Zitzelsberger. "Eine solche Reaktion ist in der aktuellen Situation vollkommen unverständlich. Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 sind wir nur deshalb vergleichsweise unbeschadet gekommen, weil die Sicherung von Beschäftigung oberste Priorität hatte. Das haben die Arbeitgeber offenbar kollektiv vergessen. Alles was ihnen zur Lösung einfällt, sind Kostensenkungen auf dem Rücken der Beschäftigten."

Beschäftigungssicherung hat höchste Priorität

Die IG Metall Baden-Württemberg ergreift deshalb nun ihrerseits die Initiative und hat eine Kampagne ins Leben gerufen, die den Kostensenkungsplänen der Arbeitgeber zehn konkrete Forderungen zur Zukunftsgestaltung entgegensetzt. Sicherung von Beschäftigung, Absicherung der Einkommen und der Gesundheitsschutz der Belegschaften haben dabei höchste Priorität. Ferner setzt sich die Kampagne unter anderem für Erleichterungen bei der Kinderbetreuung, Perspektiven für Auszubildende sowie ein breit aufgestelltes Konjunkturprogramm ein, welches gleichermaßen Beschäftigung sichert und den Klimaschutz vorantreibt. Bei vielen positiven Aspekten des Konjunkturprogramms der Bundesregierung kommen aus Sicht der IG Metall Baden-Württemberg kurzfristige Konjunkturimpulse für die Industrie und die Sicherung von Beschäftigung zu kurz.

Zitzelsberger: "Bisher ging es darum, gesund durch die Krise zu kommen und dafür waren Einschränkungen notwendig und richtig. Damit unsere Branchen und die Beschäftigten aber nicht dauerhaft Schaden nehmen, gilt es jetzt in eine neue Normalität zu finden und unsere Betriebe zukunftsfest zu machen - mit allen zusätzlichen Anstrengungen für eine soziale, demokratische und ökologische Transformation. Wir als Gewerkschaft positionieren uns deshalb klar gegen sozialen Kahlschlag und für Solidarität. Für Arbeitgeber heißt das: Wer Beschäftigte vor die Tür setzt oder ihre Einkommen zusammenstreicht, bekommt Ärger."

Kampagne "Solidarität gewinnt!" gestartet

Die IG Metall-Kampagne "Solidarität gewinnt!" läuft dieser Tage in den ersten Betrieben im Südwesten an. Eine entsprechende Online-Petition zählt mittlerweile fast 2500 Unterschriften, täglich kommen Hunderte weitere hinzu. Die Forderungen und Notwendigkeit der Kampagne haben Ende Mai rund 3000 Betriebsräte und Vertrauensleute der IG Metall Baden-Württemberg auf einer digitalen Funktionärskonferenz diskutiert, im Vorfeld dazu kamen circa 100 Din-A4-Seiten an praktischen Vorschlägen zur Krisenbewältigung zusammen.
Zitzelsberger: "Die Kampagne wird uns 2020 und auch in den Tarifrunden 2021 begleiten. Damit stellen wir sicher, dass die IG Metall handlungsmächtig bleibt und unsere Beschäftigten an der Gestaltung ihrer Zukunft mitwirken können." Neben der Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie stehen zum Jahreswechsel und im ersten Halbjahr 2021 Tarifverhandlungen in den Branchen Textil und Bekleidung, Kfz-Handwerk, Edelmetallindustrie und Elektro-Handwerk an.

Letzte Änderung: 05.06.2020