Pressemitteilung 14/2019
Am 14. Mai 1984 begann im Tarifgebiet Nordwürttemberg/Nordbaden der Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche. Das nimmt die IG Metall Baden-Württemberg zum Anlass, um auf die nach wie vor hohe Bedeutung tariflicher Arbeitszeitregeln und notwendiger Arbeitszeitgesetze hinzuweisen: "Wir haben vor 35 Jahren die Arbeitszeiten geändert und gerade haben wir es wieder getan", sagt Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter im Südwesten. Jüngstes Beispiel ist der Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie, der unter anderem ein Wahlrecht auf zusätzliche freie Tage anstelle eines Entgeltbausteins vorsieht.
Über 50.000 Beschäftigte allein in baden-württembergischen Betrieben machen davon 2019 erstmals Gebrauch. Zitzelsberger ist überzeugt: "Im Zeitalter von Digitalisierung und Elektrifizierung werden passende, mitbestimmte Arbeitszeitregeln wichtiger denn je." Diese müssten von Arbeitszeitgesetzen flankiert werden, die die Menschen vor Überforderung schützen.
Die IG Metall erinnert in dem Zusammenhang an den fast sieben Wochen dauernden Arbeitskampf zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche, der schließlich - nach dem Schlichterspruch von Georg Leber - den Weg zum Einstieg in die schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit von 40 auf 35 Stunden pro Woche ebnete. Damaliges Ziel: neue Stellen für rund 2,5 Millionen Erwerbslose schaffen und die Arbeit menschlicher machen. "Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen" - so lautete der Slogan der 35-Stunden-Sonne. Darauf antworteten die Arbeitgeber mit der Kampfansage "keine Minute unter 40 Stunden" - dabei hatten sie auch die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl auf ihrer Seite.
Alois Süss hat die Auseinandersetzung als Betriebsratsvorsitzender der damaligen Standard Elektrik Lorenz AG in Stuttgart hautnah miterlebt. Der Einsatz hat sich gelohnt, das sieht er immer noch so: "Arbeitszeit-Fragen sind immer Machtfragen, allein deshalb haben die Unternehmen dagegengehalten. Aber die IG Metall und ihre Mitglieder haben sich nicht von dem Widerstand beirren lassen, sondern sich durchgesetzt. Das ist ganz wichtig, auch heute: Die Arbeitswelt und die -Werkzeuge verändern sich. Aber die Menschen arbeiten nach wie vor, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Und Gewerkschaften wie die IG Metall braucht es, damit die Arbeitsbedingungen stimmen und die Ungleichheit nicht überhandnimmt."
Eingeführt wurde die 35-Stunden-Woche endgültig im Jahr 1995. Auch Franz Steinkühler, der Auseinandersetzung und Streik 1984 als damaliger Zweiter Vorsitzender der IG Metall federführend vorangetrieben hat, zweifelt bis heute nicht daran: "Die 35-Stunden-Woche hat Hundertausende Arbeitsplätze geschaffen und gesichert und das war gut für die Menschen! Nur für die Kapitalseite macht es Sinn, wenn die Einen aus Angst vor Arbeitslosigkeit bis zur Erschöpfung schuften und die Anderen demütig hoffen, Arbeit zu bekommen."
Dennoch versuchen Arbeitgeber und Politiker regelmäßig, wieder längere Arbeitszeiten durchzusetzen, aktuell treibt das Thema die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Mittels einer Bundesratsinitiative will sie die gesetzlichen Arbeitszeitregelungen flexibler gestalten und beispielsweise die zulässige tägliche Höchstarbeitszeit von derzeit zehn auf zwölf Stunden ausweiten. Auch die 11-stündige Ruhepause zwischen Arbeitsende und -beginn wird von den Arbeitgebern immer wieder als nicht mehr zeitgemäß kritisiert.
Dazu sagt Bezirksleiter Zitzelsberger: "Das heutige Arbeitszeitgesetz schützt die Beschäftigten vor Überforderung ohne dabei die Flexibilität für die Betriebe einzuschränken, wir sehen keinen Anlass, daran etwas zu ändern. Längere Arbeitszeiten als Lösung aller wirtschaftlichen Probleme anzupreisen, ist so alt wie wirkungslos. Das hat nicht zuletzt die Einführung der 35-Stunden-Woche bewiesen. Und deshalb wird es höchste Zeit, dass die 35 auch die tarifliche Norm für die Arbeitszeit der Metall- und Elektroindustrie im Osten Deutschlands wird."
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Vor 35 Jahren begann der Streik um die 35-Stunden-Woche
Auch im Osten: 35-Stunden reichen
Letzte Änderung: 16.05.2019