Interview mit Jörg Hofmann
Im Grundsatz sei gegen Flexibilisierung nichts einzuwenden, doch die Beschäftigten brauchen im Gegenzug mehr Selbstbestimmung in ihren Arbeitszeiten. Das erklärt Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, im Interview mit der "Südwest Presse".
Es geht nicht nur, aber vor allem um die Herausforderung durch die Digitalisierung. Herr Hofmann, alles redet von der Digitalisierung, von Computern und Robotern, welche die Fertigung steuern. Die meisten Beschäftigten stehen doch immer noch am Band und sitzen nicht am Laptop?
Jörg Hofmann: Nur etwa 30 Prozent der Beschäftigten arbeiten noch unmittelbar in der Produktion. Dazu kommen noch 25 Prozent in den indirekten Bereichen - zum Beispiel Logistik oder Instandhaltung, technischer Service. Wir haben aber in allen Bereichen heute erste Inseln, teilweise schon etwas komplexer vernetzt; das kann mal ein Leichtbau-Roboter sein, der am Montageband zwischen die Menschen geschaltet wird. Oder ein Logistiksystem, das die Teile an den Arbeitsplatz transportiert. Und im Übrigen: Die Digitalisierung begann in vielen Betrieben in der Produktion: mit numerisch gesteuerten Werkzeugmaschinen.
Der Fabrikarbeiter im Blaumann hat heute ein Smartphone und keinen Schraubenschlüssel mehr in der Hand?
Auch der Maschinenbediener kann heute die Abläufe am Laptop kontrollieren. Teilweise von zu Hause. Der Servicetechniker muss nicht mehr zum Kunden fahren. Er bekommt die Prozessdaten der Maschine online übermittelt und
weiß, wann ein Teil gewartet oder ausgetauscht werden muss. Solche Prozesse entwickeln sich heute rapide.
Darüber kann ein Gewerkschaftschef doch froh sein?
Ja und Nein. Natürlich können belastende Aufgaben wegfallen, es kann aber auch zu neuen Belastungen kommen. Nehmen wir die Logistik. Der Logistiker von heute hat eine Datenbrille auf und bekommt vorgeschrieben, wie er was
greifen soll. Das ist ein eng getakteter Ablauf, der dem Mitarbeiter kaum noch eigenen Freiraum lässt und er ist komplett überwacht.
Ist für Sie deshalb die Frage nach neuen Regeln für die Arbeitszeit und für flexibles Arbeiten so wichtig?
Ja. Nehmen wir eine hoch kapitalintensiven Produktion, bei der am Wochenende Mitarbeiter zumindest in Bereitschaft sein müssen, falls etwas bei der Wartung nicht klappt.
Wie wird das geregelt, wie entlohnt?
Da muss unsere Schutzfunktion als Gewerkschaft greifen.
Schutz vor zu viel Arbeit?
Wir sehen in den vergangenen Jahren einen ständigen Anstieg der Leistungsabforderungen. Positiv ist natürlich, dass die Aufträge gekommen sind, dass auch Personal aufgebaut wurde. Aber eben nicht in gleichem Umfang. Die
Folge: Das Hamsterrad dreht sich schneller. Die Arbeitgeber haben damit erreicht, dass bisherigen Grenzen der Flexibilisierung in Frage gestellt werden.
Was meinen Sie damit konkret?
Der Samstag und sogar der Sonntag sind teilweise flächendeckend in Arbeitszeitmodelle einbezogen, was noch vor 20 Jahren eine große Ausnahme war. Wir haben eine Ausweitung der Dreischicht- Betriebe. Die Angestellten in
Projektarbeitsstrukturen bauen Arbeitszeitguthaben ohne Ende auf, weil ein Projekt das andere jagt. Oft verfallen solche Guthaben ohne jegliche Vergütung. Die Beschäftigten sagen: Jetzt sind auch wir mal dran bei der
Flexibilisierung. Es kann nicht sein, dass nur die betrieblichen Interessen zählen, die ja massiv in mein Leben einwirken. Im Grundsatz ist gegen Flexibilisierung nichts einzuwenden. Aber wir müssen ihr Grenzen setzen. Vor
allem auch in der Form, dass die Beschäftigten mehr Selbstbestimmung in ihren Arbeitszeiten haben.
Deshalb befragen Sie Ihre Mitglieder?
Ja. Wir stellen die Interessen der Beschäftigten in den Mittelpunkt und befragen sie. Man kann die Arbeitszeit nicht vom grünen Tisch aus definieren. Dazu müssen die Mitarbeiter künftig mehr als bisher eingebunden
werden, auch wenn dabei manchmal unerwartete Ergebnisse herauskommen. Die Arbeitgeber haben es hier einfacher: Sie stellen von oben nach unten durch und legen fest.
Gibt es noch andere Aspekte?
Die Beschäftigten und ihre Interessen haben mindestens den Stellenwert, wie kunden- und kostengetriebene Flexibilität. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie wird immer drängender. Immer mehr kommt der Wunsch auf, die
Arbeitszeit zeitweise zu reduzieren - weil man sich an der Kindererziehung beteiligen oder Familienangehörige pflegen möchte. Manche wollen sich beruflich neu orientieren und weiterqualifizieren. Das geht aber oft nicht
nebenher.
Solche Optionen wollen Sie tarifvertraglich festschreiben.
Die Arbeitgeber sagen, dass man dies im gegenseitigen Vertrauen ganz unbürokratisch regeln kann. Das ist die alte Vorstellung vom Patron, der sich gerne gönnerisch gibt. Nein, es muss dafür einen vertraglich vereinbarten
Anspruch für alle geben. Das darf nicht davon abhängen, ob dem Arbeitgeber die Nase des Mitarbeiters gefällt oder nicht gefällt. Außerdem hört beim geforderten Teillohnausgleich sowieso bekanntlich die
Freundschaft auf
Also weniger arbeiten, aber nicht weniger verdienen?
Wir wollen einen tariflichen Ausgleich des Entgelts erzielen. Für den Gutverdiener mag das netto aufgrund der Steuerprogression nicht so entscheidend sein, drei Stunden weniger zu arbeiten. Wer aber mit 2000 Euro oder weniger
heimkommt, bei dem wirkt sich das auch netto spürbar aus. Dazu braucht man tarifliche Antworten. Die haben wir heute schon bei der Kurzarbeit oder bei der Altersteilzeit. Ähnliche Modelle auf die Lebensarbeitszeit zu
übertragen ist ein spannendes Thema. Arbeitgeber betonen, dass in der Globalisierung weniger reguliert werden soll, um flexibel reagieren zu können.
Haben sie nicht Recht?
Wir müssen schauen, wie wir die Regeln an die Arbeitszeit von morgen anpassen können. Zum Beispiel mobiles Arbeiten. Da beginnt es schon mit der simplen Frage: Was ist eigentlich die zu vergütende Arbeitszeit? Die Zeit
zwischen dem Ein- und Abstempeln? Wie ist das bei mobilem Arbeiten, wenn man mit dem Laptop im Zug arbeitet oder zu Hause? Da geht es auch um eine neue Führungskultur, die den Mitarbeitern vertraut, dass sie sich verantwortungsvoll
verhalten. Gelten die Bedingungen für ergonomisches Arbeiten auch für meinen Küchentisch? Wer haftet, wenn der Laptop kaputt geht? Das müssen wir mit den Arbeitgebern austarieren.
Wie will es die IG Metall regeln?
Wir haben auch nicht überall bereits eine Antwort. Deshalb wollen wir die Beschäftigten fragen. Da können dann ganz praktische Antworten herauskommen, auf die ich selber nicht gekommen wäre. So ist für manchen
Beschäftigten das Hauptproblem, dass die IT einfach zu langsam ist. Die Mitarbeiter wollen, dass sie einen Anspruch auf mobiles Arbeiten haben und nicht der Chef nach Gutdünken entscheidet. Da stehen wir schon mal in
Konfrontation mit dem Patron den es immer noch gibt? Den gibt es noch mehr als genug. Manche Mitarbeiter wollen gelegentlich mobil arbeiten, schätzen aber auch den sozialen Kontakt mit den Kollegen und das Gefühl, in die
Arbeitsprozesse eingebunden zu sein. Sie wollen, dass sie bei der Rückkehr in den Betrieb nicht einen Rollcontainer vorfinden, sondern ihren gewohnten Arbeitsplatz. Sie wollen, dass sie den Anspruch haben, selber zu entscheiden,
wann sie den Laptop mal für eine Zeitlang abschalten. Und nicht ihre Arbeitszeit davon bestimmt wird, wann in Chicago der Kollege zu arbeiten beginnt. Es wird aber auch genügend Fragen geben, zu denen wir heute noch keine
Antwort haben.
Gibt es da auf der Gegenseite keine Gesprächsbereitschaft?
Auf der betrieblichen Ebene treffen wir teilweise auf Gesprächsbereitschaft. Es hat sich rumgesprochen: Arbeitgeberattraktivität entscheidet sich an attraktiven Arbeitszeitmodellen. Aber hinter dem schönen Lack verbirgt
sich zu oft der alte Rost. Und der muss runter. Diese Veränderung verlangt eine neue Regelsetzung, etwas auf Tarifebene.
Werden Sie beim Thema Arbeitszeiten schnell zu einer Einigung kommen?
Ich sehe dies nicht. Die Arbeitgeber könnten versuchen, die Umbrüche, die die digitale Welt aufzwingt, dafür zu nutzen, möglichst viel von dem für sie lästigen Mitbestimmungs- und Gewerkschaftseinfluss
wieder loszuwerden. Jedenfalls ist das bestimmt kein Thema, das man so nebenher abhaken kann.
Das Interview führte Helmut Schneider, es erschien am 7. Januar 2017 in der "Südwest Presse".
Letzte Änderung: 10.01.2017