Pressemitteilung
Stuttgart. Die erste Verhandlung in der Metall- und Elektroindustrie-Tarifrunde im Südwesten ist nach zwei Stunden ohne Annäherung zu Ende gegangen. Roman Zitzelsberger, Verhandlungsführer und IG Metall-Bezirksleiter für Baden-Württemberg: "Die baden-württembergischen Betriebe verkraften die Corona-Pandemie sehr unterschiedlich. Intelligente Maßnahmen zur Sicherung von Beschäftigung, Ausbildung und Einkommen haben für uns deshalb höchste Priorität. Die Arbeitgeber hingegen vertreten den pauschalen Standpunkt, dass die Tarifrunde 2021 gar nichts kosten darf und verlangen ferner Einschnitte in bestehende Tarifverträge. Damit tragen sie weder zur Zukunfts- und Beschäftigungssicherung bei, noch werden sie den Bedürfnissen der Menschen gerecht."
Die IG Metall fordert für die rund eine Million Beschäftigte in der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie ein Zukunftspaket zur Bewältigung der aktuellen Corona-Krise. Dieses umfasst ein Volumen von 4 Prozent bei 12 Monaten Laufzeit, welches je nach betrieblicher Situation unterschiedlich eingesetzt werden kann: zur Stärkung der Einkommen und/oder für Beschäftigungssicherung durch Modelle der Arbeitszeitabsenkung mit Teilentgeltausgleich. Zudem will die IG Metall einen tariflichen Rahmen für betriebliche Zukunfts-Tarifverträge schaffen.
Beschäftigte verdienen weniger und fürchten um Arbeitsplatz
Die Beschäftigten stehen hinter den Forderungen: Nach der jüngsten Beschäftigtenbefragung der IG Metall, an der sich allein im Südwesten mehr als 53.000 Menschen beteiligt haben, sehen 25 Prozent ihren eigenen
Arbeitsplatz in Gefahr, 71 Prozent registrieren verstärkt Zukunftsängste in der Belegschaft ihres Betriebs. Wesentliche finanzielle Einschnitte hat 2020 mehr als ein Drittel der Befragten im Südwesten zu verkraften.
Dementsprechend geben 71 Prozent an, dass eine Entgeltsteigerung wichtig oder sogar sehr wichtig für sie ist. 87 Prozent wünschen sich eine Beschäftigungssicherung durch Zukunfts-Tarifverträge, 91 Prozent
Zukunftssicherung durch Qualifizierung. Für knapp zwei Drittel ist Beschäftigungssicherung durch eine Arbeitszeitabsenkung mit Teilentgeltausgleich - etwa in Form einer 4-Tage-Woche - ein wichtiges Tarifrunden-Ziel.
Zitzelsberger: "Die Beschäftigten haben Opfer gebracht, jetzt ist es an den Arbeitgebern ihnen etwas zurückgeben. Weil wir uns der angespannten Lage in vielen Betrieben bewusst sind, fordern wir keine exorbitanten
Lohnerhöhungen, sondern ein Paket, das Beschäftigungssicherung, Zukunftsgestaltung und die Stabilisierung der Einkommen gleichermaßen ermöglicht. In Betrieben, in denen es gut läuft, können die 4 Prozent
für höhere Löhne und Gehälter eingesetzt werden, wo es schlecht läuft beispielsweise für einen Teilentgeltausgleich bei der vorübergehenden Absenkung der Arbeitszeit."
In betrieblichen Zukunfts-Tarifverträgen sollen darüber hinaus etwa Investitions- und Produktperspektiven sowie Fortbildungsmaßnahmen festgeschrieben und betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen werden. Tarifliche Regelungen zur Verbesserung der Ausbildung und des dualen Studiums stehen ebenfalls auf der Agenda der IG Metall, außerdem die Ausweitung der M+E-Tarifverträge auf dual Studierende und die unbefristete Übernahme aller Ausgebildeten.
Arbeitgeber-Forderung nach Kosteneinsparungen nicht zielführend
Kein Verständnis hat der Gewerkschafter für die harte Haltung der Gegenseite: "Südwestmetall fordert nicht nur eine Nullrunde, sondern will zudem die Lohnkosten senken und Regelungen des Flächentarifs aufweichen. Dafür gibt es überhaupt keine Notwendigkeit, der Flächentarif ist flexibel genug, um auf betriebliche Notlagen reagieren zu können." Zugleich gebe es vermehrt Betriebe, wo sich die Situation gut bis sehr gut entwickle, dort müssten auch höhere Einkommen zum Ausgleich der Inflation und Stabilisierung der Kaufkraft möglich sein.
Laut einer aktuellen Betriebsräteumfrage im Südwesten hat sich die Lage der Betriebe gegenüber dem Sommer aufgehellt: Im Juli bezeichneten nur 41 Prozent ihre Situation als "sehr gut" bis "normal", aktuell sehen das 54
Prozent so. Allerdings stehen in 71 Prozent der Betriebe Sparprogramme an. Zitzelsberger: "Dass die Früchte nicht ganz so groß sind wie in der Vergangenheit, wissen wir. Aber eine moderate Entgeltentwicklung gepaart mit
Beschäftigungssicherung ist die richtige Antwort, um neben der Corona-Pandemie auch die anstehende Transformation in den Betrieben zu meistern."
Zuletzt im April 2018 sind die Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen tabellenwirksam um 4,3 Prozent gestiegen. Die seit 2019 geltende Sonderzahlung T-ZUG wurde zu einem großen Teil nicht ausgezahlt, sondern zur
Sicherung von Beschäftigung herangezogen. Der aktuelle Entgelt-Tarifvertrag läuft zum Jahresende aus, der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung einen Monat später. Die Friedenspflicht endet am 1. März 2021 um
Mitternacht, danach sind Warnstreiks möglich.
Auch unter Pandemie-Bedingungen handlungsfähig
Bis zur zweiten Verhandlung Mitte Januar wünscht sich Zitzelsberger von der Gegenseite deutliche Bewegung, "sonst fehlt mir die Phantasie, wie wir diese Tarifrunde vor Ablauf der Friedenspflicht lösen sollen", so der Gewerkschafter. Auch wenn die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen die Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit erschwerten, sei man auch unter Pandemiebedingungen handlungs- und mobilisierungsfähig: "Wir haben bereits bewiesen, dass auch mit Maske, Abstand und unter Einhaltung aller erforderlichen Hygienebedingungen verschiedene Protest-Aktionen möglich sind. Das sieht dann vielleicht anders aus als vor drei Jahren, Druck ausüben können wir aber auch unter Corona-Bedingungen."
Letzte Änderung: 16.12.2020