Betriebsräteversammlung 2014
Betriebsräteversammlung 2014 - "Roter Oktober" mit klaren Worten und neuem Gesicht
Eine Veranstaltung zwischen Unternehmenserfolg und Druck und Sorge an den Standorten - Einladung zum Dialog
"Wenn man einen von uns angreift, greift man uns alle an!" - mit dieser Solidaritätsbekundung eröffnete Ergun Lümali, neuer stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Daimler AG, am 16. Oktober 2014 den zweiten Tag der Betriebsräteversammlung in Sindelfingen.
Und "angegriffen" werden derzeit viele Kolleginnen und Kollegen in der Daimler-Welt - Stichwort Verkauf von Niederlassungen, möglicher Stellenabbau im Werk Düsseldorf, Verlagerungen in Shared Service Center, um nur ein paar zu nennen. Diese Themen dominierten auch die Gespräche und die hitzigen wie emotionalen Diskussionen der Versammlung.
Zur Betriebsräteversammlung kommen jedes Jahr im Oktober die Mitglieder der Betriebsausschüsse der Betriebsratsgremien der deutschen Werke, Standorte und Niederlassungen zusammen. Auch viele nationale und internationale Gäste aus den Konzerntöchtern und der IG Metall nehmen an der Versammlung teil.
Dieses Jahr führte erstmals die neue GBR-Spitze um Michael Brecht (Vorsitzender) und Ergun Lümali (Stellvertreter) die rund 400 Teilnehmer am "Roten Oktober" durch`s Programm. Neben dem Rechenschaftsbericht des GBR-Vorsitzenden und der internen Aussprache, ist die Debatte mit dem kompletten Konzernvorstand über aktuelle Belange und zukünftige Entwicklungen im Unternehmen ein zentraler Teil der Veranstaltung.
"Wir sind Daimler und wollen Daimler bleiben!"
Bereits am ersten Versammlungstag, dem so genannten Niederlassungstag, machte Jürgen Langer, Vorsitzender der Niederlassungskommission, deutlich, wie er zu den Verkaufsplänen des Unternehmens steht: "Ohne Not wird unsere sehr gut funktionierende Niederlassungsstruktur zerstört. Wir halten ihre Strategie für falsch und schädlich für das ganze Unternehmen. Und ihr könnt uns vielleicht verkaufen und uns aus der Firma schmeißen, aber nicht den Daimler aus unseren Herzen."
Ein von Niederlassungskolleginnen und -kollegen gehaltenes Banner mit der Aufschrift "Kein Ausverkauf - Wir sind Daimler und wollen Daimler bleiben!" bekräftigte seine Aussage. Auch am zweiten Tag erntete Jürgen Langer für seinen Wortbeitrag mit Gänsehautfaktor tosenden Beifall und minutenlange Standing Ovations von allen anwesenden Betriebsräten. Die Vorstandsriege hielt sich bedeckt.
Frischer Wind - neues Dialogkonzept
Mit dem Wechsel an der GBR-Spitze wurde zudem das Veranstaltungskonzept überarbeitet und eine neue Diskussionsplattform geschaffen: In sieben Foren hatten die Versammlungsteilnehmer die Möglichkeit, mit jeweils einem Vorstand und einem GBR-Vertreter in intensive Gespräche zu treten und einen engen Dialog zu führen.
So diskutierten der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG Dieter Zetsche und GBR-Chef Michael Brecht in Forum #1 zu dem provokativ formulierten Thema "Sparen wir uns zu Tode?".
Neben Fragen rund um die Niederlassungsverkäufe, brannte den Betriebsräten vor allem der mögliche Personalabbau im Werk Düsseldorf unter den Nägeln. Hierzu könnte es kommen, wenn der Vorstand entscheiden sollte, dass die für den US-amerikanischen Markt produzierten Sprinter künftig nicht mehr in Düsseldorf, sondern direkt in den USA gefertigt werden sollen. Dieter Zetsche fand auf Fragen zu dieser Thematik klare Worte: "Wenn wir in Zukunft weiterhin Sprinter für den US-amerikanischen Markt bauen wollen, dann müssen wir das vor Ort machen - oder wir lassen es ganz. Wir stehen vor der Situation, dass zwei unserer Konkurrenten in den USA produzieren werden und dadurch einen erheblichen Wettbewerbsvorteil hätten."
Am 21. Oktober 2014 findet eine Vorstandssitzung statt, in der auch dieses Thema auf den Tisch kommen soll. Thomas Weilbier, Betriebsratsvorsitzender im Werk Düsseldorf, insistierte im Plenum: "Treffen Sie am Dienstag keine Entscheidung ohne mit uns intensiv diskutiert zu haben und ohne dass die Beschäftigten in Düsseldorf eine Zukunftsperspektive haben!"
Hier spiegelt sich auch ein Anspruch wider, den sich der neue GBR auf die Fahnen geschrieben hat: den Dialog zwischen GBR, Unternehmen und Belegschaft zu stärken. Konkret wollen die Betriebsräte frühzeitig - bevor Entscheidungen im Vorstand gefällt sind - in Diskussionen eingebunden werden und die strategische Weiterentwicklung im Unternehmen im Interesse der Beschäftigten mitgestalten. Denn, so Michael Brecht, "die Belegschaften sind der treibende Motor der Erfolge und haben dafür eine bessere Beteiligung verdient."
Diesen Anspruch und weitere Ziele des GBR zeigte Michael Brecht im Rechenschaftsbericht des GBR auf. Er beleuchtete unterschiedlichste Themenfelder mit denen sich der GBR befasst - von den bereits angesprochenen Niederlassungsverkäufen, den Diskussionen um das Werk Düsseldorf, zu den Verlagerungen in Shared Service Center, über die Logistik-Strategie des Unternehmens hin zu ProCent, mobilem Arbeiten und Generationenmanagement. Letzteres Thema wurde auch in einem Diskussionsforum vertieft: das Forum #2 "Wohin mit den Alten?".'' Personalvorstand Wilfried Porth und Thomas Weilbier standen hier Rede und Antwort und diskutierten lebhaft. Im Kern kamen sie zu dem Schluss, gemeinsame Grundpositionen zum Generationenmanagement formulieren zu wollen.
"Der Weg ist das Ziel!"
Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde im großen Plenum meldete sich auch Markus Gellert von der Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung (GJAV) zu Wort. Er schilderte eindrücklich seine Bedenken über die abnehmende Quote der Hauptschüler unter den Auszubildenden. Im Vergleich zu 2011, als noch rund 10 Prozent der Auszubildenden einen Hauptschulabschluss hatten, seien es im Jahr 2014 lediglich nur noch rund 5 Prozent. Dies sei ein falsches Zeichen, das den Jugendlichen gegeben werde. Es steigere die Hemmschwelle von Hauptschülern sich überhaupt "beim Daimler" zu bewerben, weil "man ja eh keine Chance auf einen Ausbildungsplatz hat", so Gellert. Und das dürfe nicht sein.
Mit einer kleinen Aktion, bei der 5% der Veranstaltungsteilnehmer grüne Warnwesten anzogen, wurde bildhaft deutlich gemacht, wie gering der Anteil der Hauptschüler an den Auszubildenden ist. Eine der Westen nahm auch Personalvorstand Wilfried Porth entgegen und pflichtete Markus Gellert bei. Auch er begrüße es nicht, dass so wenige Hauptschüler unter den Auszubildenden seien und sagte zu, sich der Sache anzunehmen.
Alles in Allem war die erste Betriebsräteversammlung unter der Leitung der neuen GBR-Spitze konstruktiv und dialogorientiert und die Teilnehmer offen, ehrlich und kritikfreudig. Die sieben Diskussionsforen kamen durchweg gut an. Sicher wird diese Veranstaltungsform auch künftig beibehalten. Den Teilnehmern gefiel insbesondere die dadurch neu geschaffene Möglichkeit, mehr Zeit für kontroverse und intensivere Diskussionen zu haben. Auch Dr. Dieter Zetsche begrüßte den neu eingeschlagenen dialogorientierten Weg: "Der Anspruch an solche Foren kann natürlich nicht sein, dass Fragen zur Gänze beantwortet werden - das wäre utopisch. Aber der Weg ist das Ziel!"
"Wir brauchen Stabilität, Sicherheit und Zukunftsperspektiven!"
Am Ende der zweitägigen Veranstaltung hatte nochmals der GBR-Vorsitzende Michael Brecht das Wort. Er resümierte:
"Ich habe noch nie so eine Betriebsräteversammlung erlebt. Auf der einen Seite freuen wir uns über einen enormen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens, auf der anderen Seite ringen aber auch viele Beschäftigte an den deutschen Standorte um ihre Zukunft - da liegt doch etwas im Argen.Und auch die Öffentlichkeit begreift nicht, weshalb Stellen gestrichen und verlagert werden, obwohl es dem Unternehmen offensichtlich sehr gut geht. Wir verstehen, dass wir uns ständig weiterentwickeln müssen und wir versperren uns nicht gegen Sparprogramme und Internationalisierung. Aber wir brauchen auch Stabilität, Sicherheit und Zukunftsperspektiven für unsere Kolleginnen und Kollegen. Und dafür machen wir uns stark!"
Stimmen zur Veranstaltung
Joachim Horner, Standort Mannheim
Die eingerichteten Foren boten eine neue Diskussionsplattform, die mir gut gefallen hat. Es war möglich, tiefergehende Diskussionen zu führen, da man näher an die Vorstände herankommt. Sie sollten meiner Meinung nach auch für die nächsten Jahre beibehalten werden. Durch die engere Kommunikation kommen auch Standpunkte der Vorstände verständlicher und detaillierter rüber. Dies hilft auch uns Betriebsräten, uns entsprechend auszurichten.
Stefan Pilz, Standort Kassel
Die Rechenschaftsberichte beider Parteien fand ich aufschlussreich und gut aufgerollt. Die wichtigsten Themen wurden angesprochen.
Selber war ich in dem Forum mit Herrn Porth, erhofft habe ich mir Antworten für die Zukunft, besonders hinsichtlich alternsgerechter Arbeitsplätze.
Jürgen Langer, Niederlassungen
Michael Brecht hat es geschafft, die wichtigsten Themen ansprechend und gut strukturiert zusammen zu fassen. In den Foren hatten die Teilnehmer die Möglichkeit mit allen aktiv ins Gespräch zu kommen, was ich auch für eine gute Sache halte.
Udo Roth, Werk Gaggenau
Mir gefiel der hervorragende, lockere Stil. Die Rechenschaftsberichte waren thematisch auf den Punkt gebracht. Man merkt beim GBR einen Zusammenhalt. Von den Diskussionen verspreche ich mir Antworten auf die Frage, wie die deutschen Truck und PKW Werke von dem Wachstum mitprofitieren können. Ein Ausbau der Geschäftsfelder darf nicht zu Lasten der deutschen Werke gehen.
Markus Gellert, GJAV
Für mich ist es alarmierend wie wenig Hauptschüler wir bei Daimler einen Ausbildungsplatz anbieten, diese Problematik habe ich auch als Hauptpunkt in die Diskussionen mitgenommen. Wir müssen uns darüber bewusst sein, dass manche Aufgaben ein gewisses Klientel besser bedienen als andere.
Frank Strümpel, Standort Sindelfingen
Die Rechenschaftsberichte fand ich gut strukturiert und ein guter Auftakt für den neuen GBR Vorsitz. Als Betriebsrat eines Produktionsbereichs möchte ich Antworten finden und Diskussionen weiter anstoßen, wie alternsgerechte Arbeitsplätze geschaffen werden können. PVV kann Beschäftigte auf bestehende Stellen vermitteln, jedoch ist dieses Kontingent auch irgendwann ausgeschöpft. Für mich ist der richtige Ansatz, dass das System umgestellt werden muss - der Mensch ist nämlich da, die Arbeitsplätze jedoch nur begrenzt.
Letzte Änderung: 27.10.2014