Information
Der Gesamtbetriebsrat informiert zu Werkverträgen und Leiharbeit
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
der SWR-Beitrag "Hungerlöhne am Fließband", der am Montag dieser Woche in der ARD ausgestrahlt wurde, hat in der Öffentlichkeit und in der Belegschaft viele kontroverse Debatten über den Umgang mit Werkverträgen und auch über den Umgang mit Daimler in den Medien ausgelöst. Viele Beschäftigte sind empört darüber, dass so etwas bei uns in der Fabrik möglich ist, aber auch darüber, dass in der Reportage und in der folgenden "Hart aber fair"-Sendung allein Daimler an den Pranger gestellt wurde.
Aus Sicht des Gesamtbetriebsrats ist letzteres besonders unfair, da wir gemeinsam mit der Belegschaft mit die härtesten Regelungen in der Branche zur Regulierung der Leiharbeit in der Produktion erstritten haben.
Fakt ist:
- Leiharbeit in der Produktion ist bei Daimler auf maximal 8 % begrenzt. In den Werken gibt es z.B. bei Produktanläufen die Möglichkeit, diese Quote temporär zu überschreiten - allerdings nur in Verbindung mit Festeinstellungen.
- Die direkt von einer Zeitarbeitsfirma an Daimler ausgeliehenen Leiharbeiter in der Produktion verdienen so viel wie ein neueingestellter Stammbeschäftigter - und damit deutlich mehr als bei den allermeisten anderen Herstellern.
- Im letzten Jahr haben die Metallerinnen und Metaller - allen voran wieder die Daimler-Belegschaften - tarifliche Regelungen zur Leiharbeit erkämpft. So wurden Branchenzuschläge und Regelungen zur Übernahme von Leiharbeitern vereinbart. Auf dieser tariflichen Basis streiten wir derzeit betrieblich um eine Begrenzung und Übernahmeverpflichtung bei Leiharbeit im indirekten Bereich.
- Bei den Werkverträgen - also dem Einkauf von Dienstleistungen - fehlt jede gesetzliche Basis für eine Einflussnahme der Betriebsräte. Es gibt nicht einmal eine Informationspflicht des Unternehmens. Trotzdem ist es uns betrieblich gelungen, eine Pilotvereinbarung für die Entwicklungsbereiche abzuschließen. Danach muss dem Betriebsrat die Zahl der Werkverträge genannt werden und es findet eine Überprüfung statt, ob es sich im konkreten Fall wirklich um einen juristisch korrekten Werkvertrag handelt. Ist das nicht der Fall, muss das Arbeitsverhältnis in Arbeitnehmerüberlassung umgewandelt werden - was mehr Transparenz und Einflussnahme für die betriebliche Interessenvertretung bedeutet, auch wenn das bei weitem nicht ausreicht.
All dies wurde in dem Fernsehbeitrag nicht als Erfolg gewürdigt, sondern ignoriert, obwohl die Informationen vorlagen.
Ignoriert wurde auch, dass es bei Daimler - wieder auf Druck des Betriebsrats und der Belegschaft - bisher gelungen ist, eine im Vergleich mit dem Wettbewerb relativ hohe Fertigungstiefe zu erhalten. Wir machen viele Tätigkeiten, die bei den direkten Wettbewerbern längst von Fremdfirmen erledigt werden, noch selbst. Das ist die beste Garantie für faire Arbeitsbedingungen.
In den aktuellen Gesprächen mit dem Vorstand über weitere Effizienzsteigerung und Kostensenkung sowie in der Berichterstattung der Wirtschaftsmedien wird den Betriebsräten allerdings genau dieser Umstand vorgehalten. Um
zum Wettbewerb aufzuschließen will der Vorstand künftig verstärkt Aufgaben im Dienst-
leistungs-, Logistik- und Entwicklungsbereich fremd vergeben. Das Unternehmen orientiert sich dabei an Wettbewerbern, bei denen in einzelnen Werken über 50 % der Wertschöpfung durch Fremdfirmen erbracht wird.
Eine über den beschriebenen Pilot hinaus gehende betriebliche Regulierung der Werkverträge lehnt die Daimler-Unternehmensleitung vor diesem Hintergrund bislang ab. Aufgrund der engeren Regulierung der Leiharbeit wird derzeit in
den Entwicklungsbereichen bereits wieder auf Werkverträge ausgewichen.
Jeder Vorstoß des Gesamtbetriebsrats, die Leiharbeit außerhalb der Produktion zu regulieren, wurde von der Unternehmensleitung bisher zurückgewiesen. Ihr Argument: Die Konkurrenz verfüge über diese
Flexibilität und Daimler lasse sich deshalb in seiner "unternehmerischen Freiheit" nicht einschränken.
Allen Akteuren muss klar sein: Ergebnis einer solchen Unternehmenspolitik wäre, dass Fremdfirmen unreguliert bei Daimler auf dem Werksgelände - in unseren Fabriken und Büros - agieren und Stammbelegschaft ersetzt wird. Missstände, wie sie in dem genannten Fernsehbeitrag aufgezeigt wurden, sind dann nicht auszuschließen. Dabei ist es aus unserer Sicht nicht entscheidend, ob es sich im konkreten Fall tatsächlich um illegale Arbeitnehmerüberlassung oder um einen korrekten Werkvertrag gehandelt hat. Ein Stundenverdienst von 8,19 Euro in unseren Fabriken ist so oder so unerträglich. Sollte es sich allerdings herausstellen, dass es sich um illegale Arbeitnehmerüberlassung gehandelt hat, dann müssten die von der Fremdfirma eingesetzten Arbeitskräfte fest übernommen werden.
Wir fordern die Politik auf, die gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen, dass Betriebsräte bei Werkverträgen eingreifen können. Schon seit Monaten bringen wir dieses Anliegen bei Spitzenpolitikern in Berlin vor. Auch die Verankerung eines gesetzlichen Mindestlohns ist aus unserer Sicht überfällig.
Wir fordern außerdem das Unternehmen auf, in den Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat die Regulierung und Begrenzung prekärer Arbeit im indirekten Bereich bei Daimler nicht weiter zu blockieren. Menschen, die dauerhaft bei uns eingesetzt sind, müssen in ein festes Arbeitsverhältnis übernommen werden. Wir sollten gemeinsam daran arbeiten, auch in Bezug auf die Arbeitsbedingungen bei Daimler eine Spitzenposition einzunehmen und damit Vorbild in der Branche sein.
Erich Klemm
Gesamtbetriebsratsvorsitzender
Michael Brecht
stellv. Gesamtbetriebsratsvorsitzender
Links:
Stuttgarter Zeitung: IG Metall macht Druck bei Werkverträgen
swr: Bericht über Dumpinglöhne bei Daimler
Stellungnahme des Betriebsrats Untertürkheim zu Dumpinglöhnen bei Daimler
Letzte Änderung: 28.05.2013