Interview - Die Zukunft beginnt jetzt!
Eine wichtige Maßnahme im Umgang mit der Transformation ist es, die Fachkräfte von morgen im eigenen Haus auszubilden. Doch welche Berufe haben eine Perspektive? Welche Kompetenzen werden in den Fachbereichen gebraucht? Diesen zentralen Fragen geht der Fachausschuss für Bildung und Qualifizierung des Betriebsrates nach und legt die Ausbildungsprofile jedes Jahr neu fest. Wie das Portfolio für 2022 entstand und was sich zu den letzten Jahren verändert hat erzählt Bahtiyar Karatas, Vorsitzender des Ausschusses für Bildung und Qualifizierung des Betriebsrates am Mercedes-Benz Standort Sindelfingen, im Interview mit der BRENNPUNKT-Redaktion.
RENNPUNKT: Bahtiyar, einmal für unsere Leserinnen und Leser zum Verständnis: Was ist das Ausbildungsportfolio und wie kam es 2022 zustande?
Bahtiyar Karatas: Im Ausbildungsportfolio halten wir fest, in welchen Berufen wir ausbilden und wie viele Auszubildende in welchen Berufen eingestellt werden. Die Grundlage für unsere Überlegungen sind die Bedarfsmeldungen aus
den Fachbereichen, die wir in dieser Form im Rahmen des Projektes "Fit4Future" seit vier Jahren erfassen. Nachdem nun der erste Ausbildungsjahrgang ausgelernt ist wissen wir: Das System funktioniert. Gemeinsam mit der Ausbildungsleitung
passen wir unser Portfolio an und können so auf die Bedarfe aus den Fachbereichen eingehen.
Wir können jungen Menschen Berufe mit Zukunftsperspektiven anbieten.
Im Mittelpunkt stehen dabei immer Überlegungen, welche Berufsgruppen wir stärken und welche wir im Umkehrschluss reduzieren müssen. Die Anzahl der Ausbildungsplätze haben wir in der Betriebsvereinbarung "Zukunftsbild 2025+ Next Level" auf insgesamt 280 festgeschrieben. Innerhalb dieses Rahmens können wir entscheiden, welchen Berufsgruppen oder Studiengängen wir wie viele Auszubildende/Studierende zuordnen. Dieses Vorgehen hat Vorteile für alle: Zum einen können wir den jungen Menschen Berufe mit Zukunftsperspektiven anbieten in Bereichen, in denen sie im Anschluss ihrer Ausbildung auch tat sächlich arbeiten können. Zum anderen erhalten die Fachbereiche genau die Kompetenzen, die sie benötigen. Eine Win-Win-Situation.
BRENNPUNKT: Was sind das konkret für Berufe, die in Zukunft stark nachgefragt sein werden?
Bahtiyar Karatas: Wir sprechen hier vor allem von Berufsbildern, die sich mit der Digitalisierung beschäftigen. Wir setzen uns dafür ein, dass unsere bisherigen Berufe mit diesen Zukunftsthemen ergänzt und ständig
weiterentwickelt werden. Daneben entstehen aber auch ganz neue Berufsbilder. So haben wir zum Beispiel die beiden neuen Ausbildungsberufe "Fachinformatiker Digitale Vernetzung" und "Fachinformatiker Daten- und Prozessanalyse" neu im
Ausbildungsportfolio. Der Betriebsrat fordert schon seit Jahren einen stärkeren Fokus auf solche digitalen Berufe, weil wir die Tendenzen am Markt früh erkannt haben. Mit diesen beiden Berufsbildern gehen wir damit endlich
einen wichtigen Schritt.
BRENNPUNKT: Welche Berufsbilder werden dann im Gegenzug weniger fokussiert?
Bahtiyar Karatas: Die Tendenzen in unserer Fabrik gehen weg von den klassischen kaufmännischen Berufen. Die "Industriekauffrau" oder den "Kaufmann für Büromanagement" wird es in dieser Form zukünftig nicht mehr geben,
deswegen werden sie 2022 erstmalig auch nicht mehr ausgebildet. Wir haben uns in den letzten Jahren dafür stark gemacht, diese beliebten Berufsgruppen nicht komplett zu verlieren - auch mit Blick in die weitere Zukunft, nicht nur
auf heute und morgen. Leider merken wir jetzt aber, dass die Ausgebildeten große Probleme bei der Suche nach Stellen in ihren Bereichen bekommen. Die Bereitschaft der Fachbereiche, in diesen Berufsgruppen noch Neueinstellungen
vorzunehmen, sind aufgrund der MOVE-Maßnahmen sehr gering. Die Übernahmegarantie ist natürlich eine wichtige Absicherung, aber unser Anspruch ist es, die Ausgebildeten auch in ihren erlernten Fachgebieten unterzubringen.
Weil das mit diesen Berufsbildern zunehmend schwieriger wird, fokussieren wir uns 2022 auf Berufsbilder mit Zukunftsperspektiven für die jungen Menschen.
BRENNPUNKT: Gehen dadurch nicht auch Kompetenzen verloren?
Bahtiyar Karatas: Da haben wir zum Glück einen gewissen Spielraum, dass das nicht passiert. Am Beispiel der "Fach kraft für Lagerlogistik" lässt sich das gut darstellen. Auch diese Berufsgruppe wird ab 2022 nicht mehr
ausgebildet. Trotz dem benötigen die Fachbereiche aber auch weiterhin Kolleg:innen, die logistische Prozesse beherrschen. Das werden in Zukunft die "Fachinformatiker:innen Daten- und Prozessanalyse" sein. Formt die IHK ein neues
Berufsbild, wie dieses, gibt es neben dem Ausbildungsrahmenplan auch einen betrieblichen Rahmen plan, den wir mitgestalten können. Dadurch können wir die Schwerpunkte der Ausbildung an unseren Bedürfnissen ausrichten. In
diesem Fall erlangen die Auszubildenden nicht nur Informatik-, sondern auch Logistik-Know-How. Der Fokus liegt hier vor allem auf Schnittstellen, für die Wissen in Logistiksystemen und digitaler Planung erforderlich sind. So wirken
wir nicht nur dem Wegfall des ehemaligen "Lagerlogistikers" entgegen, sondern tragen gleichzeitig der Weiterentwicklung der Logistik Rechnung.
BRENNPUNKT: Wie wird es mit den neuen Berufsbildern weitergehen?
Bahtiyar Karatas: Wir werden weiterhin kontinuierlich, aber mit behutsamen Schritten voranschreiten. Direkt alles auf eine Karte zu setzen ist in unseren Augen der falsche Weg. Denn ob die Kenntnisse der Ausgebildeten in unseren neuen
Berufen mit den Bedarfen in den Fachbereichen tatsächlich übereinstimmen - und sie am Ende auch entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt werden können - wissen wir frühestens 2025, wenn der erste Jahrgang
ausgelernt ist. Wir werden also weiterhin in ständigem Austausch mit den Fachbereichen stehen und das Ausbildungsportfolio Jahr für Jahr auf Basis der gegenwärtigen Entwicklungen anpassen.
Letzte Änderung: 24.11.2021